EU-Freizügigkeit: (nicht) für alle? Bericht zeigt Herausforderungen für EU-Bürger*innen in prekären Lebenslagen in Münster (Deutschland)


Im Rahmen des Projekts PRODEC haben FEANTSA und die Bischof-Hermann-Stiftung heute den Bericht "EU-Bürger*innen in Wohnungsnot und prekären Lebenslagen: Ergebnisse einer Befragung von 100 mobilen EU-Bürger*innen in Münster, Deutschland“ veröffentlicht.“

Im Rahmen des Projekts PRODEC[1] haben FEANTSA und die Bischof-Hermann-Stiftung heute den Bericht "EU-Bürger*innen in Wohnungsnot und prekären Lebenslagen: Ergebnisse einer Befragung von 100 mobilen EU-Bürger*innen in Münster, Deutschland“ veröffentlicht.“

Der Bericht basiert auf einer zwischen Oktober und Dezember 2020 durchgeführten Befragung von 100 EU-Bürger*innen in Münster, die in Wohnungslosigkeit und/oder prekären Lebensverhältnissen leben. Im Fokus stehen die Lebensbedingungen der befragten Personen und deren besondere Herausforderungen. Der Bericht zielt darauf ab, die Hauptgründe für multiple Problemlagen sowie Lösungsansätze zu deren Überwindung zu erörtern.

Trotz einer insgesamt erfolgreichen Freizügigkeit in der EU ist eine wachsende Zahl mobiler EU-Bürger*innen in europäischen Städten von Obdach- oder Wohnungslosigkeit und/oder prekären Lebensumständen betroffen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, mehr Informationen über die Lebensbedingungen dieser Personengruppe zu sammeln, zu verbreiten und sich für Veränderungen einzusetzen, die zu einer Verhinderung von Obdach- oder Wohnungslosigkeit sowie einer Verbesserung von Lebenssituationen führen.

Der von der FEANTSA und der Bischof-Hermann-Stiftung herausgegebene Bericht soll hierzu einen Beitrag leisten, indem er insbesondere einen Überblick darüber gibt,

  • wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen auf das Leben von EU-Bürger*innen in Deutschland auswirken,
  • welche Maßnahmen von Obdachlosenorganisationen und anderen Akteur*innen ergriffen werden können, um die Lebensbedingungen der Zielgruppe zu verbessern, aber auch
  • über die Auswirkungen, die die COVID-19 Pandemie auf die Personengruppe hat.

Die erhobenen Daten zeigen, dass bis zu 73 % der Personen, die an der Umfrage in Münster teilnahmen, mit einer Alterspanne zwischen 19 und 48 Jahren relativ jung waren. Die Befragten kamen aus insgesamt 11 verschieden EU-Staaten. Fast die Hälfte der Befragten (48 %) gab an, einer Minderheit anzugehören

Zwei Drittel der Befragten hielten sich schon lange in Deutschland auf: 21 % von ihnen seit mehr als fünf Jahren und 42 % zwischen einem Jahr und fünf Jahren. 84 % der Befragten hatten ihren Wohnsitz in Münster, und fast alle waren entweder freizügigkeitsberechtigt (81 %) oder daueraufenthaltsberechtigt (15 %).

Dennoch galten 60 % der Befragten gemäß den Definitionen der ETHOS-Typologie der FEANTSA[2]  – als wohnungslos, auch wenn sie schon lange in Deutschland lebten. Die am häufigsten genutzten Unterbringungsarten waren Notunterkünfte für Familien (31 %) und Unterkünfte für Alleinstehende (10 %). Erfreulicherweise gab keiner der Befragten an, im Freien zu übernachten. Von den 39 Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung in einer mietvertraglich abgesicherten Wohnung lebten, hatten 90 % in der Vergangenheit Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit erlebt.

Die prekären Lebensbedingungen der mobilen EU-Bürgern in Münster lassen sich zum Teil durch den fehlenden Zugang zu Arbeitsplätzen und prekäre Arbeitsbedingungen erklären: 60 % hatten einen Arbeitsplatz, die Hälfte davon im Rahmen eines so genannten "Minijobs" mit einer Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden pro Woche. Das monatliche Gehalt der Minijobber*innen liegt bei etwa 450 €. Dieser Betrag reicht nicht aus, um die existenziellen Bedarfe zu decken oder eine vom Arbeitgeber übernommene Krankenversicherung zu erhalten. Dies führt häufig zu Problemen bei der Anerkennung des Arbeitnehmer*innenstatus durch die Leistungsträger.

Als weitere Faktoren, die die Lebensumstände der befragten Personen beeinträchtigen, wurden genannt:

  • Hindernisse bei der Anmeldung bei der Gemeinde,
  • mangelnde Deutschkenntnisse,
  • Einschränkungen durch die deutsche Auslegung des Freizügigkeitsgesetzes (z. B. die Eindeutigkeit des Begriffs "Arbeitnehmer*in"), und
  • strukturelle Diskriminierung oder Schwierigkeiten bei Behörden.

Da die Bewältigung komplexer Verwaltungs- und Zuwanderungsprozesse Systemkenntnisse, sowie viel Zeit und Mühe erfordert, sind viele mobile EU-Bürger*innen auf die Unterstützung von Fachleuten wie denen der Bischof-Hermann-Stiftung angewiesen.

FEANTSA und die Bischof-Hermann-Stiftung möchten mit diesem Bericht darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, die Rechte mobiler EU-Bürger*innen in prekären Situationen zu schützen. Wir zeigen hierfür einige der Schlüsselfaktoren auf, die dazu führen, dass Einzelpersonen und Familien, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben, in prekäre Lebensumstände und Wohnungslosigkeit geraten.  

FEANTSA ist die Europäische Föderation der nationalen Organisationen, die mit Obdachlosen arbeiten. Wir sind die einzige europäische Nichtregierungsorganisation, die sich ausschließlich auf den Kampf gegen Obdachlosigkeit konzentriert. Unser Ziel ist die Beendigung der Obdachlosigkeit in Europa. FEANTSA arbeitet mit über 120 Mitgliedern in 28 Ländern zusammen, darunter 24 EU-Mitgliedstaaten.

Die Bischof-Hermann-Stiftung ist eine private kirchliche Stiftung mit Sitz in Münster, Deutschland. Sie bietet zahlreiche Dienste für wohnungslose Menschen an, die von Notunterkünften bis hin zu spezialisierten Diensten für pflegebedürftige Wohnungslose, ältere Menschen mit einer Vorgeschichte von Wohnungslosigkeit, ambulanten Beratungsangeboten, oder Menschen mit psychischen Problemen reichen.

Ansprechpartner*innen:

FEANTSA

Freek Spinnewijn

Chaussée de Louvain 194

1210 Bruxelles
informationprotected@feantsa.org

Tel.: +32 0478 43 90 39

www.feantsa.org

Bischof-Hermann-Stiftung

Stefanie Beckmann

Schillerstraße 46

48145 Münster

stefbeck83protected@gmx.de

Tel. +49 173 2633338

bischof-hermann-stiftung.de


Erfahren Sie hier mehr zum Thema EU-BÜRGER*INNEN IN WOHNUNGSNOT UND PREKÄREN LEBENSLAGEN

[1] Das Projekt PRODEC (Protecting the Rights of Destitute EU Mobile Citizens/Schutz der Rechte mittelloser mobiler EU-Bürger) wird aus dem Europäischen Programm für Integration und Migration (EPIM) finanziert.

[2] European Typology on Homelessness and Housing Exclusion (Europäische Typologie für Obdachlosigkeit und Ausgrenzung bei der Wohnungssuche) wurde von der FEANTSA entwickelt, um ein besseres, einheitlicheres Verständnis und eine bessere Messung der Obdachlosigkeit in Europa zu ermöglichen. Für weitere Informationen: https://www.feantsa.org/en/toolkit/2005/04/01/ethos-typology-on-homelessness-and-housing-exclusion?bcParent=27